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Brauchtum

Jedes Kind kann einen Schneemann bauen

Unser kalter, pummeliger Freund sieht ganz anders aus als seine heldenhaften Ahnen. Aber damals hatte schließlich auch Michelangelo seine Finger im Spiel.

So baut man einen Schneemann (Foto: Peter Podpera)
Foto: Peter Podpera
So baut man einen Schneemann

Wer hat eigentlich den ersten Schneemann gebaut? Wer hat zum ersten Mal einen riesigen Schneeball gerollt, auf diesen einen etwas kleineren gestellt und auf den dann einen noch kleineren? Wir wissen nicht, wer das wann war. Und wir werden es auch nie erfahren.

So baut man einen Schneemann (Foto: Peter Podpera)
Foto: Peter Podpera
So baut man einen Schneemann
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Und wen kümmert das auch, wenn es geschneit hat? Dann geht es hinaus, und das ganze Programm läuft ab wie seit ungefähr zweihundert Jahren, als die eiskalten Gesellen begannen, so auszusehen wie heute:

  • Die drei besagten Kugeln aus Schnee

  • dann zwei Kohlestücke als Augen und vielleicht ein paar weitere als Knöpfe auf der Brust, es können aber auch echte Knöpfe sein

  • eine Karottennase und ein alter Hut oder Topf als Kopfbedeckung

  • zwei verzweigte Äste als Arme und ein dicker Schal

  • ein Spazierstock und ein alter Besen als Stütze

  • ein Rechenbalken oder ein Stück Holz als Mund

  • und manchmal raucht er sogar die alte Pfeife vom Opa.

Servus Mondpost

Man könnte sagen, wir haben das Schneemannbauen in den Genen, jedes Kind kann das, und jedes Kind im Manne auch. Sehen wir Schnee, wollen wir ihn in Form bringen – als handliches Wurfgeschoss oder gewaltige Kugel.

Ein Kerl mit Kohl und Karotte

In seiner Kulturgeschichte des Schneemanns stellt der Autor Bob Eckstein eine tiefschürfende Frage: Wer hat eigentlich den ersten Schneemann gebaut? Wer hat zum ersten Mal einen riesigen Schneeball gerollt, auf diesen einen etwas kleineren gestellt und auf den dann einen noch kleineren? So wie wir es im Biologie-Unterricht über den Aufbau von Insekten gelernt haben: Caput, Thorax, Abdomen; Kopf, Brust, Hinterleib. Wir wissen nicht, wer das wann war. Und wir werden es auch nie erfahren. Es gibt keine Höhlenmalereien mit Schneemännern und keine antiken Epen, in denen von ihm erzählt wird.

Und wen kümmert das auch, wenn es geschneit hat? Dann geht es hinaus, und das ganze Programm läuft ab wie seit ungefähr zweihundert Jahren, als die eiskalten Gesellen begannen, so auszusehen wie heute: Die drei besagten Kugeln aus Schnee, dann zwei Kohlestücke als Augen und vielleicht ein paar weitere als Knöpfe auf der Brust, es können aber auch echte Knöpfe sein; eine Karottennase und ein alter Hut oder Topf als Kopfbedeckung; zwei verzweigte Äste als Arme und ein dicker Schal; ein Spazierstock und ein alter Besen als Stütze; ein Rechenbalken oder ein Stück Holz als Mund; und manchmal raucht er sogar die alte Pfeife vom Opa. Man könnte sagen, wir haben das Schneemannbauen in den Genen, jedes Kind kann das, und jedes Kind im Manne auch. Sehen wir Schnee, wollen wir ihn in Form bringen – als handliches Wurfgeschoss oder gewaltige Kugel.

Ein ewiges Kind wohnt auch dem deutschen Buchhändler Cornelius Grätz inne. In den vergangenen 25 Jahren sammelte er weit über 3.000 Darstellungen von Schneemännern – solche in Glaskugeln und auf Postkarten, Exemplare aus Marzipan und Schokolade, Porzellan und Holz, Zeichnungen, Karikaturen und Gemälde, Werbeplakate, Salz- und Pfefferstreuer und Christbaumkugeln.

Vor zehn Jahren rief Cornelius Grätz den weltweiten Tag des Schneemanns ins Leben; es ist der 18. Jänner. Die Ziffer Acht stellt die Kugeln dar, die den Körper bilden, die Eins den Stock, der ihn stützt. Wollen wir den Tag nutzen, um einen Blick in seine Geschichte zu werfen, deren Anfang sehr, sehr weit weg führt von unseren verschneiten Breiten. Es geht – ausgerechnet, würde ein Schneemann seufzen – in den Süden.

Michelangelo und der Schneemann

Mehr als fünfhundert Jahre hat der David des Michelangelo, dieses Bild von einem Mann aus Florenz, nun schon auf dem Buckel; Verzeihung … auf dem Buckel? Natürlich trägt er dieses halbe Jahrtausend voller Stolz und Würde auf seinen ebenmäßigen, muskulösen Marmor-Schultern, dieser Riese in körperlichem wie kunstgeschichtlichem Sinne. 5,17 Meter hoch, fast sechs Tonnen schwer …

Was aber kaum jemand heute noch weiß: Dieser biblische Held hatte einen älteren Bruder. Wir kennen nicht einmal seinen Namen. Wir wissen nicht, wie groß er war. Nur dass er David nie kennenlernte, das können wir mit Bestimmtheit sagen, denn er lebte wohl nur wenige Tage. Oder waren es gar Stunden?

22. Jänner 1494. In Florenz hat es geschneit. Da ruft der Florentiner Stadtherr Piero di Lorenzo de’ Medici den kaum 19-jährigen Michelangelo Buonarroti zu sich. Der talentierte junge Künstler möge hinausgehen in den Hof des Palastes und eine Statue errichten. Aus Schnee. Michelangelo tut es. Er baut einen Schneemann, sicher einen athletischen, unbesiegbaren. Eine Gestalt, die nur von der Sonne über Florenz in die Knie gezwungen werden konnte. Wahrscheinlich war es der schönste Schneemann, den je ein Mensch gesehen hat.

Nur wenige frühe Zeugnisse gibt es von dieser Bildhauerei mit Ablaufdatum: eine heutigen Schneemännern verblüffend ähnliche Gestalt in einem Manuskript aus dem Jahr 1380. Und einen aus Florenz stammenden Bericht, nach dem im Winter 1408 junge Männer in den Straßen majestätische Löwen und eine Herkulesfigur aus Schnee bauten. Dort aber, wo man zu jener Zeit am ehesten einen Schneemann vermutet hätte, war gar keiner: nämlich in den wunderbaren Wimmelbildern von Pieter Bruegel dem Älteren, der doch in seinen belebten Winterlandschaften des 16. Jahrhunderts jede einzelne damals populäre Lustbarkeit in Schnee und Eis unterzubringen wusste.

Was könnte das bedeuten? Dass es vor fünfhundert Jahren noch keine weit verbreitete Beschäftigung war, einen Schneemann zu bauen. Dass die Menschen sich nicht viele Gedanken machten um die große existenzielle Erzählung, die da lautet: Bedenke, Schneemann, dass die Zeit beschränkt, die auf Erden dir gegeben ist!

Zum ersten Mal taucht das Motiv des unweigerlichen Hinwegtauens bei William Shakespeare auf, hundert Jahre nach Davids älterem Bruder. „Wär’ ich ein Possenkönig doch aus Schnee“, hadert Richard II. im gleichnamigen Drama mit seinem Schicksal, „um mich in Wassertropfen wegzuschmelzen!“

Aus der heroischen Statue auf Zeit wurde im Lauf der Jahre ein Symbol der Vergänglichkeit – ein Opfer aus patzigem Schnee, ausgelacht, mit Schneebällen beworfen und seinem Schicksal überlassen. Solche Demütigungen haben ihn zeitweilig auch böse gemacht, wie einen im Grunde seines Herzens liebesbedürftigen Hund, der nie gestreichelt und nur schlecht behandelt wird. Doch auch hinter seinem grimmigen Blick schimmerte immer seine wunde Seele.

Der schöne Schneemann, ey wie groß, ein riesenmäßiger Coloß! Doch ach! Die liebe Sonne scheint, und er zerrinnt, eh mans gemeint!
Aus einer Kinderliedersammlung, 1767

Als „armer Tropf“ tritt er in einer Kinderliedersammlung von 1767 auf, einer der ersten deutschsprachigen Erwähnungen des Schneemanns. Karikaturen zeigen ihn mit verzweifeltem Gesichtsausdruck unter den erbarmungslosen Strahlen der Frühlingssonne; er schwitzt und weint. Und vergeht.

1860 schrieb Hans Christian Andersen das Märchen vom Schneemann, der seine Kraft aus wunderbarer Kälte sog. Doch dann bekam er „Ofensehnsucht“, eine schlimme Krankheit für einen Schneemann. Aber noch bevor er dem Kaminfeuer zu nahe kommen konnte, setzte Tauwetter ein. Der Schneemann schmolz dahin und war vergessen.

So endet das Märchen. Aber in Wahrheit lebt die Seele eines Schneemanns immerfort, da oben in den Wolken. Bis sie sich wieder in Flocken verwandelt. Und wir die Flocken zu Kugeln rollen …

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