Wohnen, Hausbesuch, Haus, Wohnzimmer, Kachelofen, Sitzecke
Foto: Harald Eisenberger

Hausbesuch in der Mühle am Wallersee

Wenn der große Schriftsteller Carl Zuckmayer einen Gast nicht sehen wollte, flüchtete er durch eine Hintertür zum Wirten. Johanna und Wichard von Schöning, die heute in der Mühle am Wallersee leben, sind da ganz anders.
Text: Harald Nachförg, Fotos: Harald Eisenberger

Wir essen Apfelkompott. Frau von Schöning hat es selbst gemacht. Und nichts anderes würde jetzt besser zu diesem nachmittäglichen Zusammentreffen und diesem Ambiente passen, denke ich und schau kurz aus dem Fenster. Das Licht draußen hat bereits diesen typischen Blauton, der das nahe Ende eines Wintertags ankündigt. Bald wird wieder Finsternis über die Schneelandschaft hereinbrechen und die kalte Luft noch schärfer sein.

Aber wir, wir löffeln süßsaures Apfelkompott. Sitzen in der behaglichen Stube im Eck. Um den alten Bauerntisch, wohlig gewärmt vom grünen Kachelofen. Der Blick fällt auf die Wand gegenüber, auf der sich dutzende Krickerl – Jagdtrophäen allesamt – um ein Gewehr und eine Spieluhr aus dem Biedermeier drängen. Letztere funktioniert schon lange nicht mehr.

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So wie sie scheint auch die Zeit hier herinnen stehen geblieben zu sein. Seltsam entrückt von der Welt fühlt man sich. Und es würde einen nicht wundern, wenn jetzt die großen Literaten Ödön von Horváth, Franz Werfel und Stefan Zweig hereinspazierten und bei uns Platz nähmen.

Schließlich kamen sie ja oft genug her. Saßen genau da, wo wir jetzt sitzen. Auf Besuch beim Hausherrn Carl Zuckmayer, der in den 20er- und 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hier in Henndorf am Wallersee lebte und bei dem sich seine Schriftstellerfreunde und überhaupt Künstler gern die Klinke in die Hand gaben

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Der Dichter mochte die neuen Besitzer

„Der Kachelofen war übrigens das Einstandsgeschenk von Stefan Zweig“, sagt Wichard von Schöning. Der 68-jährige, aus altem pommerschen Adelsgeschlecht stammende ehemalige Anwalt und seine Frau Johanna sind die heutigen Besitzer des Hauses. Johannas Eltern, Hanns Georg und Lilli Kwisda, haben es im Oktober 1970 gekauft.

Sie haben Zuckmayer, kurz bevor er 1977 starb, auch noch kennengelernt, ja waren mit ihm sogar befreundet. Dem Dramatiker, der so epochale Werke wie „Der Hauptmann von Köpenick“ und „Des Teufels General“ schuf, gefielen die neuen Eigentümer und wie sie das Anwesen pflegten.

„Für dich bin ich der Zuck‘, hat er zu meiner Mutter gesagt. So durften ihn nur seine Freunde nennen“, erzählt Johanna von Schöning. Sie selbst kann sich nur mehr sehr dunkel an den deutschen, in Nackenheim bei Mainz geborenen Schriftsteller erinnern. „Er war unheimlich warm angezogen und kam mir sehr streng vor.“

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Zwölf Jahre – die glücklichste Zeit seines Lebens – verbrachte er mit seiner Frau Alice in dem mitten im Salzburger Seenland gelegenen Anwesen. Von den Nazis vertrieben und zur Flucht in die USA gezwungen, wollten die Zuckmayers nach dem Krieg nicht mehr an diesen Ort zurückkehren. Auch wenn Carl das Haus, das er 1926 als 30-Jähriger erwarb, noch so sehr liebte.

„Er hat es von den Tantiemen seiner Komödie ‚Der fröhliche Weinberg‘ gekauft, mit der ihm sein literarischer Durchbruch gelungen war“, erzählt Frau von Schöning. Und dass das Haus einst eine Getreidemühle war, erbaut um 1571, genannt Wiesmühl.

Der Mühlbach wurde umgeleitet und fließt jetzt durch den Garten. Zu Zuckmayers Zeiten rauschte er noch direkt am Haus vorbei. Sonst hat sich aber nicht viel verändert. Selbst Hundegebell gehört zur Idylle. Nur kommt es nicht mehr von Flick und Flock, Zucks Cockerspaniels, sondern von Chiara, der semmelblonden Ungarischen Vorstehhündin der von Schönings.

Ein General, zwei Schiffe und ein Pferd

Seit 2004 lebt das Ehepaar, das sich in Heidelberg kennenlernte und lange in der Nähe von Hamburg wohnte, nun schon in der Wiesmühl. Die beiden haben das historische Erbe bewahrt und es gleichzeitig um die eigene Geschichte bereichert.

Man sieht das auch an den Bildern. Gleich neben dem Zweig’schen Kachelofen zum Beispiel hängt nun das Porträt von Hans Adam von Schöning, der als Generalfeldmarschall für August den Starken gegen die Türken kämpfte. Oder die zwei Bilder im ehemaligen Zimmer von Zuckmayers Kindern, das jetzt als Bibliothek dient: Je ein Schiff ist darauf zu sehen – die Fregatte „Novara“ und ein Schulschiff von Kaiser Maximilian; und auf beiden fuhr Gustav von Jägermayer. „Mein Ururgroßvater“, sagt Johanna von Schöning. Auf Schritt und Tritt auch immer wieder Erinnerungsstücke an ihren Vater. Da der alte Schreibtisch des Kavallerieoffiziers, der ein Schöngeist war und gern zur Feder griff. Dort, über der Badewanne, ein Bild von ihm mit seinem Pferd. Und weil der passionierte Reiter auch leidenschaftlicher Jäger war: die Krickerl und Geweihe.

Obwohl das Haus so viel Geschichte atmet, wirkt es überhaupt nicht museal. Am besten ist es wohl mit charmant und gemütlich beschrieben. Und ein bissl verwinkelt, weil die Räumlichkeiten der alten Mühle nie verändert wurden. Dementsprechend wandern wir über viele Stufen und auf unterschiedlichen Ebenen herum. Schauen uns auch noch in der hellen Wohnküche um und im Schlafzimmer. Wir dürfen ja die Nase überall reinstecken. Die von Schönings sind da sehr entspannt.

„Jugend ohne Gott“ im Blockhaus

Das Schlafzimmer war früher Zuckmayers Schreibstube. Heute noch hat sie eine Tür, die ins Freie führt. Und der Zuck benutzte sie nicht ungern. Immer wieder entwischte er so vor ungebetenen Gästen, um wenig später im Caspar-Moser-Bräu aufzutauchen, dem Wirtshaus seines Freundes Carl Mayr.

Der hatte ihm übrigens nicht nur die Wiesmühl verkauft, sondern auch ein kleines Blockhaus geschenkt, das er am Zifanken, dem Hausberg von Henndorf, abbauen und gleich neben der alten Mühle wieder aufstellen ließ. Es war bald der ideale Arbeitsplatz für Zucks Freunde. Ödön von Horváth beispielsweise schrieb hier „Jugend ohne Gott“.

Später haben dann Johanna von Schönings Eltern das Jagdhaus ein bissl vergrößert. Heute sind darin drei Appartements untergebracht, „Fuchsbau“, „Hasenstall“ und „Gamssteig“ genannt. Die Kinder der von Schönings – die Zwillinge Mariena und Heloisa sowie ihr Bruder Gordian – quartieren sich hier ein, wenn sie aus Deutschland auf Besuch kommen. Und wenn sie nicht da sind, werden die Zimmer vermietet.

Von Schönings freuen sich immer über Gäste. Sie pflegen, wie in den besten Zeiten Carl Zuckmayers, die Tradition eines offenen Hauses, sind feingeistige Menschen und beseelt von Werk und Leben des großen Schriftstellers.

In dieser besonderen Atmosphäre wird er auch wieder lebendig. Gleich steht er vor dir, denkt man. Und traut sich nur zaghaft seinen überdimensionalen Strohhut mit dem seidigen Innenfutter in die Hand zu nehmen, den er immer beim Baden im Mühlbach aufhatte – oft als einziges Kleidungs- stück übrigens. Denn der Zuck war ja auch ein lustiger Geselle, stets zu Späßen aufgelegt. So taufte er zum Beispiel seine Tochter Maria im zweiten Vornamen Winnetou, weil er Karl May so verehrte.

Ein blonder Bub will Schlagobers

Das kann man in dem ganz hervorragend gemachten Büchlein „Carl Zuckmayer in Henndorf“ von Bernd und Angelika Fischer nachlesen. Wichard von Schöning hat stets mehrere Exemplare davon vorrätig, natürlich auch in seinem 2009 gegründeten Literaturhaus. Es ist nur wenige Gehminuten von der Wiesmühl entfernt, wunderschön renoviert und ja, auch in ihm war ein Dichter daheim.

Es war das Geburtshaus von Johannes Freumbichler, einem bescheidenen Mann, der große Bauernliteratur schrieb. Zuck unterstützte ihn und wurde oft von ihm besucht. „Mit von der Partie war meist ein schüchterner blonder Bub, der sich vor allem auf die heiße Schokolade mit Schlagobers gefreut hat“, steht im Büchlein über Zuckmayer.

Der Bub war Freumbichlers Enkel und hieß Thomas Bernhard ...

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