Die Kammmanufaktur Groetsch aus Hartenstein
"Mein Großvater hat meinem Vater dringend davon abgeraten Kammmacher zu werden", erzählt Melanie Groetsch, während sie geduckt durch den Regen um die Mühle läuft. „Aber mein Vater ist es dann doch geworden, trotz seiner Ausbildung zum Werkzeugmachermeister. Und nach ein paar Umwegen ich auch.“
Die junggebliebene 40-Jährige öffnet die eiserne Tür zur Werkstatt, über der versteckt unter wucherndem Efeu der Spruch ihrer Zunft steht:
„Kämm aus, noch ist Zeit, die Sünd’ und Ewigkeit“
Hinter der Tür sieht es dann aus wie in einem verwunschenen Märchen: Über allem liegt ein weicher Schleier, die Fensterscheiben sind blind, Maschinen, Holz und Regale mit zentimeterdickem Staub bedeckt – Holzstaub.
Auch der alte Mann in der Ecke ist wie mit Mehl bestreut. Auf seinen Knien liegt eine Decke, unter der rötlichen Strickmütze quillt weißes Haar hervor, auf der Nase sitzt eine große, eckige Hornbrille über einem Rauschebart. Würden nicht einige Maschinen laufen, könnte man meinen, die Werkstatt läge in einem hundertjährigen Dornröschenschlaf.
Familientradition seit 167 Jahren
Doch der Mann bewegt sich. Es ist Melanies Vater Martin Groetsch. 70 Jahre ist er mittlerweile alt und fertigt dennoch jeden Tag einen Holzkamm nach dem anderen. Das kleine Unternehmen ist bekannt für Fachwissen und Qualität. Seit 167 Jahren schon werden in der Familie Kämme hergestellt – erst aus Horn und Holz, zwischendurch aus Plastik, dann aus Tropen- und schließlich wieder aus heimischem Holz und Horn.
Die Familie beliefert Friseure, Läden und sogar eine Firma in Frankreich. Das funktioniert aber nur, weil alle mithelfen: Mutter Lieselotte etwa macht die Qualitätskontrolle und kümmert sich um den Vertrieb. Und die 13-jährige Enkeltochter Lisa verkauft mit auf Märkten.
Melanie sucht sich ein Holzstück heraus. Alles, was in der Werkstatt liegt, wurde bereits acht bis zehn Jahre gelagert. Dieser Block stammt von der Elsbeere – einem Laubbaum mit besonders feinporigem Holz –, auf den eine Leiste aus Buchenholz geleimt wurde. „Als ich die Werkstatt von meinem Vater übernommen habe, gab’s ein großes Problem: Der von ihm patentierte Kamm und die Leiste hielten nicht lange zusammen“, grummelt Martin Groetsch in seiner Ecke.
In Oberbayern würde man ihn wohl als Grantler bezeichnen, hier ist er einfach nur Franke: wortkarg, im tiefen Inneren herzlich. „Ich konnte das Problem dann lösen. Wie, das ist unser Betriebsgeheimnis.“ Der Erfolg: Die Zähne des Kamms sind flexibel, die Leiste sorgt für Stabilität.
Feinporige Hölzer splittern nicht
Mit der Bandsäge schneidet Melanie den geleimten Holzblock in konische Scheiben; sie fühlen sich an wie bereits geschliffen. „Deswegen eignen sich feinporige Hölzer am besten für Kämme, andere splittern zu leicht und beschädigen dann das Haar“, erklärt sie und geht an die Kammschneidemaschinen. Davon gibt es drei, Vater und Tochter bevorzugen die älteste. „Sie ist über hundert Jahre alt, und ich kann alles manuell einstellen. Mein Urgroßvater hat sie zur Zeit der Industrialisierung gekauft und war damit einer der Ersten.“
Die Kammmacherin spannt zwei Rohlinge in die Vorrichtung, stellt Abstände und Tiefe der Zähne ein und führt das Holz in die rotierenden Sägeblätter. An der Bandschleifmaschine bringt ihr Vater das Ergebnis in Form. Kunstvoll führt er den Rohling übers Papier. An seinen Handschuhen kann man erkennen, dass die Finger dabei nicht immer unverletzt bleiben – sie sind gespickt mit kleinen Löchern.
Danach folgt der schwierigste Arbeitsschritt: das Ausspitzen. Es braucht viel Erfahrung. Martin und Melanie Groetsch spüren bei jedem Holz, wie kräftig sie es auf das Schleifpapier drücken müssen, damit die Zähne vorne spitz, hinten stark und die Aussparungen dazwischen entschärft werden. Die Haarknoten sollen schließlich nicht aufreißen, sondern sich sanft lösen.
Zum Schluss wird’s fränkisch: Beim „Schnerpfln“ verpasst ausgefranstes rotierendes Schleifpapier dem Kamm den letzten Schliff. Anschließend wird er poliert, um die Oberfläche des Holzes zu schließen, damit er auch im nassen Haar verwendet werden kann.
Aufgeladene Haare gibt's nicht
12 bis 25 Minuten brauchen Vater und Tochter für einen einfachen Kamm, bevor sie ihn Lieselotte zum Prüfen geben: „Industriell gefertigte Holzkämme sind oft zu spitz oder zu rund, sie beschädigen entweder das Haar oder lösen die Knoten nicht. Ich spür genau, wenn die Zähne schlampig gearbeitet sind.“
Die 64-Jährige weiß alles über Kämme und Haare. Sie berät auch die Kunden im kleinen Laden neben der Werkstatt. „Es kommen vor allem diejenigen, die mit statischer Aufladung ihrer Haare zu kämpfen haben oder denen der Kamm immer bricht. Aber das gibt es bei uns nicht.“
"Ich spür genau, wenn die Zähne schlampig gearbeitet sind."Liselotte Groetsch
Strom für den Lebensabend
Auf einen Blick hat sie den Haartyp eines Besuchers erfasst, fragt, für welche Gelegenheit der Kamm benötigt wird – für zu Hause, für die Handtasche, für nasses oder trockenes Haar. Und dann legt sie eine Auswahl bereit. Es gibt Damen- und Herrenkämme, welche für Locken, mit Griff, gegen Läuse, zum Schneiden und noch viel mehr. Die Entscheidung liegt dann beim Kunden: Welcher liegt perfekt in der Hand, fühlt sich gut an und ist angenehm auf der Kopfhaut?
So hat jeder seine Aufgabe. Zusammen schafft es die Familie Groetsch, von ihrer Hände Arbeit gut zu leben. Von etwas Sinnstiftendem, wie Melanie es beschreibt.
Ein bisschen werden sie aber auch von der Pegnitz unterstützt. Der Fluss sorgt dafür, dass die Mühle mehr Strom erzeugt, als Firma und Familie verbrauchen. „Meine Rente“, lächelt die Kammmacherin und streicht dabei zufrieden durch ihr Haar.
Kämme von Familie Groetsch:
Enzendorf 10
91235 Hartenstein,
Tel: +49 9152/210
www.kammmacher.de