Ausseer Fasching: Die 5. Jahreszeit

Im Ausseerland, so sagt man, gibt es nicht nur Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sondern auch noch den Fasching.
Text: Uschi Korda, Fotos: Marco Rossi
Heut is da Faschingstag, heut sauf i, was i mag. Heut mach i's Testament, des Geld geht zu End!

Kleine Kinder mit roten Backen wuseln über den Hauptplatz von Bad Aussee und scharen sich immer wieder um Gestalten in prachtvoll glitzernder Kleidung. Die Ausseer Flinserln sind los und unterhalten die Menge mit deftigen Gstanzln, deren Ende die Kinder jeweils mit einem langgezogenen „Nuuussss! Nuuussss!“ quittieren.

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Belohnt werden sie dafür mit Nüssen, Orangen und Süßigkeiten – und wehe, es kommt ihnen ein Erwachsener in die Quere, um sich davon etwas zu schnappen. Gleich wird ihm von einem Zacherl, dem Diener der Flinserln, mit einer aufgeblasenen Saublase heftig auf die Finger geklopft. Zum Gaudium der Kinder natürlich, für die der Flinserllauf am Faschingdienstag alljährlich ein Höhepunkt im Jahresablauf ist.

Kampf zwischen Winter und Frühling

Es ist der Abschluss eines dreitägigen, ununterbrochenen Treibens, das hier nachweislich seit 1767 als Brauchtum gepflegt wird. Und das als einzigartig im Alpenraum gilt. Einerseits wegen der bestickten Flinserlgewänder, die einen allein beim Hinschauen in fröhliche Stimmung versetzen. Andererseits, weil sich der Faschingsbrauch über die Jahrhunderte in seiner Ursprünglichkeit erhalten hat und nicht zum beliebigen Kostümfest mutiert ist.

Servus Mondpost

Vermutlich, weil die Region so lange vom restlichen Österreich relativ abgeschnitten existierte, sagt Herbert Seiberl, Schriftführer der Ausseer Flinserln und so etwas wie die zentrale Flinserlfigur im Hintergrund. Schließlich sei das Ausseerland erst 1876 an die Bahnlinie angeschlossen worden, die alten Traditionen blieben also unberührt von fremden Einflüssen erhalten. Tatsache ist aber auch, dass die Flittergewänder nicht gerade Aussee-typisch sind. Sie wurden seinerzeit von Salzfuhrleuten, die bis nach Venedig kamen, hier eingeführt. Inspiriert von der dortigen Karnevalsmaskerade, entwickelten sich daraus die Ausseer Flinserln.

In den drei Tagen vor Beginn der Fastenzeit geht es um nicht mehr und nicht weniger als um den symbolischen Kampf des sterbenden Winters gegen den erwachenden Frühling.

Als Erstes, nämlich als Winter, treten die Pless auf. Männer in weißen, wattierten Anzügen, die die Kinder mit einem nassen Schmutzfetzen durch den Ort jagen. Diese revanchieren sich mit Schneebällen, so lange, bis die Pless ermattet aufgeben und im Wirtshaus abtauchen. Am Faschingmontag dann ist der große Auftritt der Trommelweiber. Ausschließlich Männer, die als Frauen verkleidet mit großem Getöse durch die Gegend ziehen.

Früher, sagt Herbert Seiberl, dachte man, Naturgewalten wie auch den Winter mit Lärm vertreiben zu können. Mit lautem Tamtam setzt sich denn auch der Rhythmus des Ausseer Faschingsmarsches binnen kurzer Zeit im Gehör der Zuschauer so fest, dass man das heute gern aufs Wort glaubt. Die Frauen-Maskerade dient jedenfalls dazu, dass die Austreiber von den flüchtenden Dämonen nicht wiedererkannt und gerächt werden können.

Nicht jeder kann ein Flinserl werden

Am Faschingdienstag schließlich veranstalten die Flinserln als Frühlingsboten ihren Lauf durch Bad Aussee. Geordnet und nach einem uralten Reglement. Flinserl könne nicht jeder werden, sagt Gertrude Muhr, die seit 17 Jahren als Oberflinserl der schillernden Truppe vorsteht. Eine Autorität, die mit 20 Jahren der Familientradition folgte und zu ihrem ersten Flinserllauf antrat. Ein Erlebnis sei das gewesen, sagt sie, und die Begeisterung in ihren Augen lässt vermuten, dass ihr der Umzug heute noch genauso großen Spaß macht wie damals.

Wer mitmachen darf, bestimmt ein sechsköpfiges Komitee, dem Gertrude Muhr vorsteht. Voraussetzungen sind Volljährigkeit, die Zugehörigkeit zum Ausseer Bürgertum und ein guter Leumund. Letzteren geben meist die Eltern, daher haben sich im Lauf der Jahrhunderte traditionelle Flinserlfamilien gebildet, in denen die aufwendigen Kostüme über Generationen vererbt werden.

Das älteste in Aussee stammt übrigens aus dem Jahr 1824, das von Gertrude Muhr ist immerhin schon 90 Jahre alt und muss natürlich immer wieder repariert werden. Das Leinen, also der Grundstoff, bricht mit der Zeit ganz gerne, sagt sie, und überhaupt seien vor allem geflochtene Sessel der Feind der Kostüme, weil die Pailletten drinnen hängen bleiben.

Faschingtag, Faschingtag, kim na bald wieda,wann ma koa Geld nit ham, stehl ma an Widda,wann ma koan Nidda ham, stehln ma an Aa, drum san die drei Faschingtag gar so viel Rah!

Ornamente, Vögel und Schmetterlinge

Schwierige Fälle landen zumeist bei Trachtenschneider Peter Veigl, dem auch die Gewichtsprobleme der knapp siebzig Flinserlläufer nicht verborgen bleiben. Bis zu 20 Kilo mehr gingen sich aus, sagt er, darüber komme man um ein neues Kostüm nicht herum. Und für ein richtig schönes Flinserl müsse man schon mit 10.000 Euro rechnen, sagt Veigl, während er rund um eine mondförmige Schablone den Filz mit einer Nagelschere ausschneidet.

In feinster Handarbeit näht er jede Figur auf das bereits fertiggestellte Leinenkleid. Vom obligatorischen Relikten der venezianischen Herkunft, über Vögel, Schmetterlinge bis zu Blumen und Sternen.

Wie bei einem Gemälde fügt der Meister danach bunte Ornamente in die noch hellen, unbearbeiteten Zwischenräume, bevor es ans Flittern geht. Einzeln werden die Pailletten angenäht, wobei Veigl am liebsten alte Schüsselflitter nimmt, weil die mehr Charme haben. Zum Abschluss vervollständigt er das prachtvolle Stück noch mit bunter Wollstickerei.

Das hier sei jetzt definitiv sein letztes Flinserl, sagt Veigl, mit dem im Februar seine Nichte erstmals laufen wird. Dabei grinst er von einem Ohr zum anderen, und wir dürfen vermuten, dass er das schon öfter gesagt hat.

Sein erstes Kostüm hat er vor 32 Jahren angefertigt. Für sich selbst, und es sei so schiach gewesen, sagt er, dass er es am Aschermittwoch sofort wieder aufgetrennt habe. Damals sei er noch zu unruhig und zu schnell-schnell gewesen, sagt Peter Veigl, heute ginge er viel ruhiger ans Werk. Immerhin, so schätzt er, stecken an die 500 Arbeitsstunden in so einem kostbaren Kleid, an dem er mindestens ein Jahr arbeitet.

Schneller ist da natürlich eine Trommel fertig, obwohl auch sie von einem Könner in liebevoller Handarbeit gefertigt wird. Knapp zwanzig Stunden, schätzt Hans Amon, brauche er in seiner Tischlerei in Grundlsee für das Schlagwerkzeug der Trommelweiber. Das halte dann aber ein Leben lang. Weil er den Körper aus zwei Schichten verleimtem Eschen- oder Buchenholz herstellt, verrät Amon sein Geheimnis, deshalb bleibt die Form lang erhalten.

Der Rhythmus des Ausser Faschings

Für einen schönen, dumpfen Klang eignet sich Naturhaut am besten, die mit Hanfschnüren gespannt wird. Dazu kommen noch Lederschlaufen für die individuelle Einstellung. Das Trommelmachen habe er sich selbst gelernt, sagt Hans Amon, und sich dabei an alten Originalen orientiert.

Tam-Tam-Tamtamtam, führt er uns mit einem selbstgedrechselten Schlägel, der ebenfalls mit Tierhaut bespannt ist, das rhythmische Schlagen vor, das im Fasching drei Tage lang im Ausseerland den Ton angibt. Früher sei er auch als Trommelweib gelaufen, sagt Amon, denn er habe als Einheimischer natürlich alle Voraussetzungen erfüllt. Und selbstverständlich die Aufnahmsprüfung geschafft, die da wäre: einen Viertelliter Schnaps ex trinken, einen Pfefferoni essen, eine Virginia rauchen und einen Luftballon aufblasen.

Wer schließlich dem Winter den Garaus machen will, muss sich halt auch den wirklich harten Dingen im Leben stellen.

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