Ein Monat als Sattlerin in der Wiener Hofreitschule
Mein Wecker läutet um 3:45 Uhr. Müde stelle ich ihn aus, will mich wieder umdrehen, doch ich weiß, dass meine Zeit es nicht zulässt. Also gut, raus jetzt – es wartet ein spannender Tag auf mich. Mein erster Tag als Sattlerin in der Wiener Hofreitschule.
Schnell husche ich durchs Haus, setze mich ins Auto und fahre zum Bahnhof. Danach geht es weiter mit der U-Bahn – zugeben für mich als halbes Dorfkind, schon Aufregung genug. Mein restlicher Arbeitsweg führt mich vorbei an der Oper und der Albertina. Über den Josefsplatz gelange ich in die Reitschulgasse wo sich die Stallungen der weißen Tänzer befinden.
Der Morgenfrost liegt noch in der Luft, als ich den Hof betrete. Ich frage nach Ali, dem Sattler und werde in die Werkstatt in den ersten Stock geführt.
In der Sattler-Werkstatt
Ich trete durch die Tür, mein Blick fällt auf den Arbeitstisch direkt gegenüber, das Licht darüber flackert leicht. In der Luft liegt der Geruch von altem Leder, Pferdeschweiß und Werkzeug – altbekannt und vertraut. Mein Herz schlägt gleich etwas schneller. Es ist ein schöner Anblick, den die Werkstatt bietet, vielleicht etwas chaotisch, aber auf ihre Art bezaubernd. Die Arbeitsplatte ist kaum zu sehen, verdeckt von Lederriemen, Ahlen und den unterschiedlichsten Messern. Und mittendrin steht Ali und werkelt konzentriert an einem Goldzaum herum.
Er schaut auf und wir reden kurz, bevor es gleich an die Arbeit geht. Ali ist gerade dabei, einen der Showzäume der Lipizzaner zu reparieren. Die Goldschuppen haben durch den fordernden Alltagsgebrauch etwas den Halt verloren und müssen neu befestigt werden. Wir trennen sie also behutsam ab und dann dürfen sie und die restlichen Beschläge erstmal ein Bad nehmen, um all den Schmund, der sich über die Zeit so angesammelt hat, loszuwerden. In der Zwischenzeit werden die neuen Lederriemen vorbereitet. Ich bin nervös und freue mich schon am ersten Tag an die Goldzäume zu dürfen. Nur die Spanische Hofreitschule in Wien fertigt diese an – in alter Tradition. Es ist eine Ehre für mich, an diesen Stücken arbeiten zu dürfen und von Ali in alte Geheimnisse eingeweiht zu werden, die er in mehr als 42 Dienstjahren hier gesammelt hat. Mit einem breiten Lächeln und Strahlen in den Augen passiert es immer wieder, dass er in Gedanken an alte Erinnerungen abschweift. Neugierig höre ich seinen Geschichten zu. Der Tag vergeht schnell und am Ende halten wir zufrieden den neuen Goldzaum in den Händen. Ich bin etwas stolz, Ali denke ich auch. Ein perfekter Start für diesen Monat in Wien.
Zu unseren Hauptaufgaben zählen vor allem Kleinteilreparaturen des Zubehörs der Pferde. Eine offene Naht an einer Trense, sprödes Leder am Kappzaum oder eine Generalüberholung einer der Handarbeitsschabracken. Was der nächste Tag an Aufgaben bereithält, bleibt jedes Mal aufs Neue eine Überraschung.
Ausrüstung der Pferde
Im Herbst ziehen die Junghengste in die Stallungen der Hofburg ein, um hier die Ausbildung in der Klassischen Reitkunst zu erfahren. Wir fertigen ihre benötigte Ausrüstung dafür. Jeweils ein Reitzaum sowie ein Kappzaum pro Pferd. Ali macht die ganze Vorbereitung, ich verbringe meine Tage meist am Nähkolben. Mit diesem können wir das Leder einzwicken, um es zu nähen. Mit einer Ahle wird vorgestochen, mit einem Faden und zwei Nadeln genäht. Die klassische Handnaht ist quasi das ABC eines Sattlers und daher auch ein Großteil der Gesellenprüfung. Zugegeben, ich war etwas eingerostet, was meine Naht betraf und genoss es sehr, das Nähen wieder vermehrt zu praktizieren. Dazu höre ich gerne Musik. Die Bewegungen sind schon so einprogrammiert, dass ich in Gedanken leicht abschweife und oft entzückt meinen Händen zusehe, wie sie da so spielerisch miteinander tanzen. Durchstechen mit der Ahle, Nadel von links, Ahle und Nadel rechts tauschen, Nadeln kreuzen, Nadel von rechts, Faden über Nadel legen, durchziehen und festziehen. Fertig und jetzt wieder von vorne. Immer und immer wieder.
Leidenschaft fürs Handwerk
Einen Moment gab es, der mir aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben ist. Ich überzog gerade mit einem Vorderstich das Eisen eines Kappzaumes mit einem Stück Leder. Die Stunden vergingen nur so wie im Flug, in meinem Gesicht ein Lächeln und egal was man mir in der Situation vorgeschlagen hätte, ich hätte nichts lieber gemacht als mit dieser etwas verzogenen Rundnadel einen Stich, nach dem anderen zu setzten. Und als mir das bewusst wurde, wurde aus meinem Lächeln ein Lachen und all die Sorgen und Zweifel, die mich in letzter Zeit ab und zu aufsuchten, waren vergessen. Und da war ich wieder, sicherer denn je: Ja, dieses Sattlerhandwerk, genau das ist es!
So vergehen die Tage wie im Flug. Meine Gefühle sind gemischt. Ich merke, wie ich mich immer wohler in diesen alten Gemäuern fühle. Zeitgleich wächst meine Vorfreude auf die nächste Zeit mit jeder Minute mehr. Ali und ich sind ein eingespieltes Zweiergespann geworden. Ich, das aufgedrehte junge Mädel, er ein ruhiger älterer Herr, den so schnell nichts mehr aus der Ruhe bringt. Wir könnten unterschiedlicher nicht sein und doch ergänzen wir uns ganz gut – man lernt voneinander. Es ist immer wieder schön, zu sehen, wie Handwerk verbindet.
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