Törggelen in Südtirol
Wenn erst der Susser verkostet wird und dann der Nuier, dürfen die Keschten nicht fehlen - Törggelen in Südtirol - eine uralte Tradition, die den Gaumen erfreut und auch die Seele bei Laune hält.
Die Tage werden kürzer, die Luft ist glasklar, die Berge rücken näher. Draußen vor der Tür knistert ein Feuer, die Flammen züngeln, der Ofen ist heiß. Die Kastanien, die Keschten, die in der Pfanne rösten, verheißen: Es ist Herbst. Die Natur greift bereits tief in den Farbtopf, und der Wein ist noch jung. Sehr jung.
Susser heißt er hierzulande, der Most. Nach ein paar Wochen wird er dann als Nuier ausgeschenkt. Und in den Stuben der Buschenschanken biegen sich die Tische unter einer himmlisch deftigen Last. Hier in Südtirol, wo der Vernatsch zu Hause ist und der Sylvaner, der Gewürztraminer oder der Lagrein. Hier in Südtirol, wo zudem der uralte Brauch des Törggelen Jahr für Jahr im Oktober und November den Hunger nach purer Lebenslust stillt. Und nicht nur den.
Längst ist es zur grenzüberschreitenden Attraktion aufgestiegen, dieses Törggelen. In Scharen kommen die Gäste angereist, wenn sie angebrochen ist, die fünfte Jahreszeit, wie die Einheimischen jene opulenten Tage nennen, die sich vom ersten „neuen“ Schluck bis in den frühen Advent hineinziehen. Und trotz der Horden aus aller Welt ist das Ursprüngliche weitgehend erhalten geblieben.
Gut zu wissen: Am Ende des Artikels finden Sie köstliche Rezepte zum Selberkochen fürs Törggelen zu Hause.
Geschichte des Törggelen
Der Begriff Törggelen wurzelt im Ausdruck Torggl. Das ist die Traubenpresse im Kelterraum. Törggelen bedeutet eigentlich nichts anderes als das Verkosten des neuen Weines.
Früher, vor rund 150 Jahren, diente das Törggelen hauptsächlich als beruflicher Erfahrungsaustausch unter den Weinbauern. Oft ging es dabei eher formell zu, seltener so richtig gemütlich. Mit der Zeit aber hat man eingesehen, dass solche Verkostungen in heimeligen Stuben viel stimmungsvoller waren. Zudem begann man, Nachbarn, Verwandte und Freunde einzuladen. Zum Kosten stieg man damals noch in die muffigen Keller hinab, wo die Weinpresse stand. Danach setzte man das Beisammensein bei Wurst und Speck in der Stube fort.
Heute gehören zu einem ausgiebigen Törggelen Schüttelbrot, ein hartes, knuspriges Fladenbrot aus Roggenmehl, frische Hauswürste, bekannt auch als Kaminwurzen, Blutwürste, Schweinerippen mit Kraut, Gerstensuppe mit Fleischeinlage, Speck- und Käsknödel, süße und auch Schlutzkrapfen, jene mit Spinat und Topfen gefüllten Teigtaschen, die so lange mit brauner Butter übergossen werden, bis sie eben „schlutzen“. Und die gebratenen Kastanien, die Keschten, die runden das Ganze schließlich ab.
Und um sich diese Zufuhr wohlschmeckender Kalorien auch wirklich redlich zu verdienen, unterzieht man sich im Vorfeld der ausgedehnten Schwelgerei einer ebenso ausgedehnten Wanderung. Die ist aber nicht verpflichtend.
Das Törggelen in seiner heutigen Form haben wir dem Meraner und dem Bozener Bürgertum zu verdanken. Die besseren Leute von dort haben so um 1900 herum begonnen, im Herbst zu den Weinbauern zu fahren, um zu erkunden, welcher Wein am besten schmeckt. Mit dem haben sie sich dann fürs nächste Jahr eingedeckt. Bei diesen Besuchen wurde auch üppig aufgetischt, weil die Winzer bei den Städtern Eindruck schinden wollten. Die Touristen haben das Törggelen dann in den späten 1950ern entdeckt.
Als Ursprungsgebiet für das Törggelen gilt das Eisacktal. Das mutet insofern etwas seltsam an, als dieses Tal, das sich geografisch gesehen vom Ursprung des Flusses Eisack am Brenner bis zu dessen Mündung in die Etsch bei Bozen erstreckt, gar nicht so viel Wein produziert.
Der Abschluss eines Tauschhandels
Dennoch: Es gibt einen Erklärungsversuch, warum der Ursprung dieses Brauches ausgerechnet hier zu finden sei, der durchaus vernünftig erscheint. Demnach revanchierten sich die wenigen Eisacktaler Bauern, die Wein anbauten – früher Rotwein, heute hauptsächlich Sylvaner, Müller-Thurgau und Kerner – und die ihre Tiere auf die Weiden der Bergbauern schickten, bei ebendiesen Bergbauern mit einem herbstlichen Bauernschmaus und ein paar Flaschen mit neuem Wein. Törggelen gleichsam als würdiger Abschluss eines „Tauschhandels“.
Weit profaner liest sich freilich der zweite Erklärungsversuch. Der besagt, dass den Erntehelfern nach dem Ende der Saison als Dank einfach ein großes Festessen zubereitet wurde.
Dass Wein und Kastanien beim Törggelen so untrennbar miteinander verbunden sind, ist wiederum bajuwarischen Prälatenklöstern zu verdanken. Die besaßen im Mittelalter ausgedehnte Weingüter in Südtirol und produzierten Messwein sowie sogenannten Zechwein, und das Herstellen der Fässer führte bald zu einem wachsenden Kastanienholzbedarf. Aus den Früchten machte man Kestn und Fiseilnsuppn, Suppen aus Kastanien und Bohnen, die als Fastenspeisen in Klosterküchen bekannt und beliebt waren.
Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass die kulinarisch sehr aufgeschlossenen Benediktiner bald die antike Affinität zu gebratenen Kastanien und jungem Wein entdeckten.
Törggelen-Rezepte für zu Hause
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