Über die Magie der Rituale: Der keltische Jahreskreis
Was ist es, das Rituale und Bräuche für uns so besonders macht? Woher kommt das Verlangen nach dem Immergleichen? Und wo finden unsere wichtigsten Rituale ihren Ursprung? Jedenfalls auch bei den Kelten.

Es sind die kleinen Rituale, die wir im Stillen zelebrieren, und die großen in der Gemeinschaft, die uns mit Vorfreude erfüllen und uns hinfiebern lassen auf einen bestimmten Moment – die Distanz zum Alltag schaffen, weil sie etwas Besonderes sind und uns in den Jahreskreis einbinden. Rituale gehören zu den ersten wesentlichen Erfahrungen, die ein Mensch macht, wenn er zur Welt kommt. Sie schaffen Vertrauen, Halt und Orientierung. Besonders Kinder lieben Rituale, weil ihnen die immer wiederkehrende Handlung Sicherheit gibt. Die Gute-Nacht-Geschichte vorm Einschlafen; das Abschiedsbussi, das heißt, dass man wiederkommt. Im Gefühl des immer Wiederkehrenden können wir uns geborgen und sicher fühlen.
Sehnsucht nach Schutz
Evolutionär betrachtet bedienen Rituale unser Urbedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe, weil das unserer Sehnsucht nach Schutz und Identität entspricht. In einem gemeinsamen Ritual erleben wir ein wohliges Miteinander, die damit verbundenen Abläufe und Regeln bewirken Nähe und Gewissheit. Das macht etwas mit uns, wissen Psychologen. Rituale gelten als seelische Medizin, die gegen Ängste wirkt und beglückt. Sie vermitteln das Gefühl, in etwas Größerem eingebettet zu sein und das Mystische des Lebens zu begreifen. Das erzeugt ein tiefes Gefühl von Nähe – frei nach Johann Wolfgang Goethe: „Der ist nicht fremd, wer teilzunehmen weiß.“
Rituale können tröstend sein, wenn es darum geht, Krisen zu bewältigen, und sie können in schwierigen Zeiten, bei Trauer und Schmerz, heilsam sein, wie das gemeinsame Anzünden einer Kerze. In der Gesellschaft haben Rituale etwas Gemeinschaftstiftendes – sie stärken das Wir-Gefühl. Unsere Heimat, so heißt es, ist da, wo Rituale übereinstimmen. Sie prägen unsere kulturelle Identität, sie sind wie die DNA unseres Zusammenlebens. Gleichzeitig verbinden wir uns mithilfe von Ritualen mit etwas Größerem, Spirituellem, zum Beispiel mit der Natur und ihrem steten Wandel. Im Frühjahr erwacht das Leben, Menschen sind in freudiger Erwartung, Naturkräfte setzen sich durch, im Sommer brechen wir auf, im Herbst wird geerntet, bis sich schließlich im dunklen Winter alles zurückzieht und eine Phase des Abschieds eingeläutet wird.
Die Rituale der Kelten
Vor allem die Kelten feierten die Rhythmen der Natur. Ihre Feste fanden stets im Einklang mit dem Universum statt. Dabei spielte der Lauf der Sonne ebenso eine Rolle wie die Veränderungen des Mondes. Die Kelten verstanden die Zeit als Kreis. Das Jahr wurde in acht Teile geteilt, mit Festtagen wie Tagundnachtgleichen oder Sonnenwenden.
Das keltische Jahr beginnt mit Samhain (1. November), die Phase bis zu Beltane (Walpurgisnacht, der Nacht auf den 1. Mai) gilt als die dunkle Jahreshälfte, danach folgt die helle Zeit. Auf diese Weise entstand das bekannte Bild des Jahreskreises (siehe unten), mit dem auch eine Vielzahl von Ritualen und Bräuchen verbunden ist, in denen sich dieser immerwährende Wechsel von Licht und Dunkelheit, von Wachstum und Rückzug, von Werden und Vergehen spiegelt.
Jede Zeit hat ihre Qualität, und das zeigt sich bis heute. Viele christliche Bräuche und Rituale stimmen mit den heidnischen überein, ebenso wie mit den Bewegungen von Sonne und Mond. „Es ist kein Zufall, dass sowohl die christlichen als auch die alten heidnischen Feste in etwa auf den gleichen Tag fallen. Das liegt vor allem daran, dass es die Missionare bei der Christianisierung den Menschen leichter machen wollten und an das Bestehende anknüpften“, so der Theologe Valentin Kirschgruber in seinem Buch „Von Sonnwend bis Rauhnacht“. Forscher sind überzeugt, dass unser Bedürfnis nach rituellem Verhalten angeboren ist und dass es sich in allen Gesellschaften und Lebensbereichen findet. Es lässt sich beobachten, dass selbst Tiere Rituale entwickeln. Ein Beispiel: Elefanten bedecken ihre verstorbenen Artgenossen mit Pflanzen und nehmen Abschied, indem sie sie mit ihren Rüsseln berühren.
Der keltische Jahreskreis
Die Kelten feierten ihre Feste im Einklang mit der Natur und orientierten sich dabei am Lauf der Sonne und an den Veränderungen des Mondes.
Mondfest SAMHAIN: 31. Oktober oder 11. Neumond nach Yule
Sonnenfest Wintersonnenwende YULE: 21. Dezember (Winteranfang)
Mondfest IMBOLC: 2. Februar oder 2. zunehmender Halbmond nach Yule
Sonnenfest OSTARA: 21. März (Frühlings-Tagundnachtgleiche)
Mondfest BELTAINE: 30. April oder 5. Vollmond nach Yule (Walpurgisnacht)
Sonnenfest Sommersonnenwende LITHA: 21. Juni (Sommeranfang)
Mondfest LUGHNASADH: 2. August oder 8. zunehmender Halbmond nach Yule
Sonnenfest MABON: 23. September (Herbst-Tagundnachtgleiche)

In stetem Wandel
Viele menschliche Rituale bestehen seit mehr als tausend Jahren. Unveränderlich sind sie trotzdem nicht. Ein Großteil der rituellen Handlungen ist symbolisch und sagt etwas über die Werte und Zustände einer Gesellschaft aus. Aber eben weil sich Gesellschaften und Kulturen im Lauf der Zeit verändern, sind Bräuche und Rituale einem steten Wandel unterworfen und werden angepasst. „Bräuche fallen nicht vom Himmel, sie kommen auch nicht aus der ‚Volksseele‘. Sie werden erfunden, wenn man sie braucht. Bräuche wandern, entwickeln sich dynamisch weiter, verschwinden, werden revitalisiert“, weiß Helga Maria Wolf, Autorin des Buchs „Verschwundene Bräuche“. Oder, um es angelehnt an die Worte Gustav Mahlers zu sagen: „Brauchtum und Tradition sind nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Eines jedenfalls ist gewiss: Vielen rituellen Festen wohnt ein Zauber inne, der die Menschen zutiefst berührt und inspiriert. Sie sind dem Alltag enthoben und auf gewisse Weise heilig.
Autorinnen: Gabriela Kuhn und Verena Randolf
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